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Krise des Allgemeinen

Andreas Reckwitz spricht von einer „Gesellschaft der Singularitäten“ die Strukturmerkmale unserer spätmodernen, postindustrialisierten Gesellschaft deutet. Die vorhergegangene industrielle Moderne ging von einem Imperativ des Allgemeinen, des Standardisierten aus und unterstrich das Gleichsein und brachte eine nivellierte Mittelstandsgesellschaft hervor. Die Spätmoderne geht für ihn tief in den Individualismus, in die Suche nach dem Außergewöhnlichen.

Das Einzigartige des Menschen wird hervorgehoben, das einzigartige Profil in der Arbeitswelt zum Beispiel, ebenfalls die Singularität der Dinge, einzigartige Waren, Orte oder Städte. Subjekte haben nicht mehr nur eine Funktion, sie erhalten eine kulturelle Bedeutung, werden mit Bildern der Einzigartigkeit aufgeladen, Reckwitz schreibt vom „kulturellen Kapitalismus“. Während der Industriekapitalismus von der Vergleichbarkeit der Produkte lebte, übersteigert der kulturelle Kapitalismus den Wert eines Produktes um einen besonderen Erlebniswert, teilweise weit entfernt von der eigentlichen Funktion. Was einzigartig ist hängt von Aufmerksamkeit und Bewertungsdiskursen ab. Gleichwohl scheint auch dadurch ein Zufallselement in den Vordergrund zu rücken, Leistungsgerechtigkeit scheint in den Hintergrund zu geraten.

In der Arbeitswelt bedeutet dies, eine außergewöhnliche Performance ist besser als eine fixe Leistung, es muss Publikum auf sich ziehen. Die Schattenseite beschreibt Selbstüberforderung durch die immense Identifikation die von Nöten ist. Man hört nie mit der Arbeit auf, kommt nie an ein Ende, es ensteht laut Reckwitz das „Romantik-Status-Paradox“:
„Einerseits soll einem die Arbeit subjektive Erfüllung bringen, gleichzeitig muss man seinen Status sichern und ist mit Erwartungen konfrontiert, was ein „marktgängiges“ Profil angeht. Hier können sich Spannungen zwischen äußeren und den eigenen Erwartungen an die Arbeit ergeben.“ (Interview Reckwitz)

Durch die Logiken der Gesellschaft der Singularitäten entsteht eine neue Unterschicht, sich speisend aus dem Niedriglohnsektor, entkoppelt von den Bedürfnissen der spezialisierten oberen Mittelschicht, beschäftigt damit, ohne langen Zeithorizont sich durchzukämpfen, Tag für Tag. In dieser zunehmenden Polarisierung der gesellschaftlichen Gruppen entsteht ein Vakuum ohne Sinnstiftendes Element. Mutterde für den Glauben an einfache Lösungen, Populismus, für das Wachsen von prekären Arbeitsverhältnissen und all den anderen Auswüchsen von destabilisierenden Elementen.

Dem entgegenstellen können wir bis heute nicht viel. Einige sprechen von der Renaissance des Sozialstaates, einem Grundeinkommen, oder sozialer und kultureller Inklusion. Durchringen können wir uns bisher nicht, in der Krise des Allgemeinen.

Gilles Deleuze

Philosophen sind gekommen und haben die Theorien ihrer Vorgänger genommen und diese verfeinert oder versucht das Gegenteil zu beweisen. Gilles Deleuze war jedoch mehr der Überzeugung, daß Philosophie etwas anderes ist, einen anderen Ansatz benötigt. Dekonstruktion und Fragmentierung sollten nicht mehr als Leitbild herhalten, philosophische Theoreme zu validieren oder im Gegenteil, ihnen zu widersprechen.

Deleuze hat sich andere Fragen gestellt. Welche Rolle hat Philosophie wirklich gespielt in der Geschichte der Menschheit? Was ist Philosophie? Gibt es andere, neue Wege die Dinge zu betrachten? Es war ihm immer wichtiger zu fragen wie man leben möchte, als hyper-nuanciert zu hinterfragen welche Textstelle auf Seite 173 eines bestimmten Buches ausschlaggebend sein soll, wo uns eine Theorie hinführen könnte.

Ihm ging es nicht mehr darum, die objektive Wahrheit zu finden, denn das wurde bereits als nicht möglich bewiesen, nein, und hier kommt das revolutionäre an seinem Ansatz, ihm ging es nicht mehr um den Prozeß des Entdeckens, er stellte den Weg dorthin in den Vordergrund. Der Prozeß des Kreierens rückte für ihn in den Mittelpunkt der Philosophie. Die alten Philosophen behaupteten Fragen ultimativ beantworten zu können. Deleuze begriff die Gegenwart als unbegreifliches Chaos und sah sich im bestreben dieser ein Framing zu verleihen. Zu behaupten, er hätte die einzige Antwort, die eine Deutungssphäre inne zu haben, war somit unmöglich. Welch wunderschöner Gedanke! Er erlaubt allen der eigenen Interpretation der Realität zu folgen, er erlaubt die Koexistenz. Denn deine Wahrheit muß nicht meine sein. Philosophie ist die Kunst, eigene Konzepte in einer chaotischen Welt zu erschaffen.

Was wollen wir also tun?! Selfies machen? Ich überlege nochmal.