Schlagwort-Archive: Kapitalismus

#ChatGPT

Hype. Sorge. Möglichkeiten. ChatGPT ist in aller Munde. Die anderen Big-Player sind auch schon weiter gekommen, Google und Co entwickeln eigene Large Language Models. Aber was ist dran an all der Aufregung um die Produktion von Inhalten quasi durch Geisterhand? Dazu muss man natürlich verstehen. Und wie immer werden die Dinge schnell entzaubert, wenn man weiß was hinter den Kulissen passiert. Die kochen auch nur mit Wasser, und auch nicht. Aber dazu später. Was passiert, wenn man ChatGPT eine Frage stellt?

  1. Die Frage wird an den Server übermittelt. Ich kann jedwede Frage stellen oder Auftrag übermitteln. „Schreib einen Brief an meinen Nachbarn“, „Schreib mir den Code für eine einfache Webseite über Blumen“ oder „Wo gehe ich am besten in Kopenhagen Gemüse essen?“. Die Antwort wird scheinbar beantwortet, als wenn eine echte Person mir gegenüber sitzt. In Wahrheit geht der Text aber natürlich an eine Serverfarm in der Cloud, Hochleistungsrechner mit Grafikkarten von NVIDIA für maximale Geschwindigkeit im Fall von ChatGPT.
  2. Tokenisierung. Der Text wird in eine Zahlenfolge umgewandelt, er wird encodet. Der Text wird unterteilt in kleine Einheiten denen ein Zahlenwert zugeordnet wird. ChatGPT berechnet aus diesen „Token“ Kontext-Vektoren, die Zusammenhänge aus den einzelnen Wörtern herstellen können. Hier liegt das Erfolgsgeheimnis von ChatGPT. Je besser Zusammenhänge erkannt werden durch die Algorithmen, desto präziser und besser wird die Antwort.
  3. Neuronen Netzwerk. Alles was bisher passiert ist, ist nicht neu, der Google Assistent oder Siri konnte das auch. Jetzt kommt das sogenannte Decoding dazu. ChatGPT generiert selber Text mit komplexen Zusammenhängen. Einige nutzen Transformer zur Generierung von Antworten, andere simulieren Gespräche, wieder andere übersetzen. Der aktuelle Generative Pre-trained Transformer GPT4 von OpenAI wurde einem menschlichen Neuronalen Netz nachempfunden und musste lange trainiert werden. Die Firma gab dem System Millionen von Texten und Trainingsdaten um zu dem Punkt zu kommen wo es jetzt ist. Daraus wurden immer wieder Antworten generiert und bewertet, bis man der möglichen richtigen Antwort nah gekommen ist. Die künstlichen neuronalen Netze bestehen aus einer hohen Zahl Recheneinheiten, Neuronen genannt. Sie werden hierarchisch in Schichten angeordnet und haben eine Eingabe- und Ausgabeschicht. Durch die Vernetzung untereinander entfalten sie ihre stochastisches ermittelten Wahrscheinlichkeiten. Die Algorithmen dazu kennt man aus dem Deep Learning verschiedenster zum Beispiel wissenschaftlicher Erkennungsprogrammen. Die Verbindungen zwischen den einzelnen Neuronen nennt man Parameter. Je mehr Parameter ein System hat, desto „klüger“ ist es, denn die Optimierung dieser Parameter macht die „Intelligenz“ des Systems aus.
  4. Text wird generiert. ChatGPT reiht jetzt die jeweils wahrscheinlichsten Token aneinander. Aus dem Kontext wurde erkannt, dass ein Liedertext geschrieben werden soll, hier sind andere Wörter wahrscheinlich als in einem Bewerbungsschreiben. Die Kreativität mit der ChatGPT vorgeht nenn man „Temperature Sampling“, es ist natürlich keine echte Kreativität, sie erhöht nur die Zufälligkeit der Wörter. Wie das System letztendlich auf den Output kommt, ist selbst für die Entwickler nicht mehr nachvollziehbar, der Deep Learning Algorithmus hat es sich selbst beigebracht und nicht protokolliert. Der Output ist beeindruckend, darf aber nicht mit echter Intelligenz verwechselt werden. ChatGPT ist ein stochastischer Papagei. Es ist einfach der wahrscheinlichste Text, ohne Gewähr auf Richtigkeit.
  5. Qualitätskontrolle. ChatGPT erstellt mehrere Texte mit verschiedenen Parametern. Anhand von Qualitätstests kann zum Beispiel entschieden werden, ob ein Text vielleicht beleidigend ist. Es wählt den besten Text aus und veröffentlicht. Beam-Search wird dieser Vorgang genannt.
  6. Feedback. Nach Ausgabe soll der Benutzer in der Regel den Output bewerten. Dieser Schritt ist essentiell für die Zukunft von ChatGPT, er bestimmt wie beim nächsten Mal bewertet wird.

Ok. Wir haben das Prinzip jetzt wohl verstanden. Was also daraus mitnehmen? Können ChatGPT und die anderen Konkurrenzprodukte Menschen ersetzen? Die Antwort zum jetzigen Zeitpunkt ist klar danach. Es gibt mit Sicherheit einfache Prozesse die diese Large Language Modells übernehmen können, aber das werden auch in naher Zukunft keine wichtigen sein. Die Frage bei Einsatz sollte hier immer sein: Würden Sie einem 5-jährigen die Aufgabe geben, auch wenn er alle Lexika der Welt auswendig kennt? Mit Sicherheit nicht! ChatGPT bewertet nach stochastischen Wahrscheinlichkeiten, nicht nach Richtig oder Falsch, Ethik oder Moral. Auf dieser Basis dürfen zum jetzigen Zeitpunkt keine Entscheidungen getroffen werden. Vielleicht ist das eines Tages möglich, wenn wir wirklich über die Entwicklungsphase „narrow KI“ drüber weg kommen. Fest steht trotzdem, wir werden miteinander „leben“, in einem Team. Wir sollten also die Zeit nutzen, die richtigen Regeln für ein gemeinsames Zusammen zu definieren. Wir werden sie brauchen, ansonsten werden Menschen dies zu ihrem eigenen Vorteil ausnutzen.

Irrational

Der Philosoph Justin E. H. Smith sagt in seinem Buch „Irrationality“, dass die auch gerade jetzt weit verbreitete Irrationalität in der öffentlichen Diskussion eine Reaktion auf das in Wissenschaft und Öffentlichkeit rationale Denken ist, welches seit ein paar Jahrzehnten vorherrschend ist. Herrscht ein Denkstil vor, so bringt er automatisch vermehrt den Antipol hervor so Smith.

Das Gehirn unterscheidet nicht zwischen rational und irrational. Während der Aufklärung entstanden sehr schnell Strömungen der Gegenaufklärung, Befürworter für Emotionen, Mystik oder Intuition. Das Gehirn denkt effizient, länger dauernde rationale Denkprozesse sind nicht immer hilfreich, sie kosten viel Energie. Komplexe Systeme haben sehr viele Variablen und können schnell zu Denkfehlern führen. Die Erstreaktion des Gehirns ist also häufig:

  • lieber glauben als zweifeln
  • Häufigkeiten können nur schwierig eingeordnet werden
  • Probleme mit Annahme von Zufällen
  • Tribalismus: zustimmen um zu gefallen
  • illusory thruth effect: Wir halten Dinge für wahr, weil wir sie schonmal gehört oder gelesen haben

Warum ist es aber doch wichtig diesen Erstreaktionen entgegen zu treten, sich Zeit zu nehmen und der Komplexität näher kommen? Alle Gedanken beziehen sich auf die Wirklichkeit, egal ob rational oder irrational. Eine rationale Herangehensweise ist jedoch das Mittel, um der Realität näher zu kommen. Sie beschreibt die Summe an Realitäten stets näher als die kriseninduzierte Wahrnehmung Einzelner. Kommt es zu Krisen, wird einigen Menschen durch den Bruch mit dem Vertrauten die Selbstachtung genommen und werden so Einfallstor für Irrationales. Beobachtungen wie wir sie sicher alle schon auf die ein oder andere Weise gemacht haben.

Was also will ich sagen? Kann ein erklären dieser Mechanismen verhindern, dass wir Irrationalität anheim fallen? Müssen wir diesen Teil unserer neurologisch bedingten Funktionalität mehr akzeptieren und werden dadurch offener gegenüber differenten Peergroups? Am Ende ist es wie immer die grundlegende Kommunikation die eine ernsthafte Auseinandersetzung erst möglich macht. Es geht mir um die Menschen, die man noch abholen kann, nicht die die über die Ränder gefallen sind, da ist nichts mehr zu holen. Sich gegenseitig dort abzuholen wo man steht, ist und bleibt eine der wichtigsten Eigenschaften der demokratischen Grundordnung.

Gewinnmaximierung

Wir sind in unserer Demokratie in die Defensive geraten. Es ist charakteristisch für das was uns abverlangt wird, und doch möchten wir so gerne anfangen für das Kompetenz anzumelden, was unseren Lebens- und Wahrnehmungsbereich ebenso betrifft, wie die Politiker, die meinen, man könne unser Wohlbefinden monokausal aus dem DAX-Stand ableiten.

Dabei ist es so wichtig unsere Lebensräume zu schützen! Selbst Kulturraum ist mittlerweile von Auswüchsen des Kapitalismus bedroht. Das geht bis in die Vertreibungsformen von Gedanken, in Reflexionsweisen, in Wahrnehmungstypen, in Sprechformen von massenmedialem Raum. Das geht bis zu dem Ventilieren von Interessen zwischen Anzeigeteilen und Reportage- und redaktionellen Teilen in Tageszeitungen. Aber das ist der Mensch doch eigentlich nicht. Wenn darüber abgestimmt worden wäre, ob Klassiker der Literatur geschrieben worden wären, dann gebe es sie sicherlich nicht. Wir befinden uns in einer Welt, in der im Grunde genommen am Parameter des ökonomischen Gewinns permanent abgestimmt wird über das, was Gegenstand unseres Interesses sein soll.

Jetzt ist es also notwendig, mit einer Dringlichkeit, eine Form von Einspruch zu formulieren, die von denen kommt, deren Kompetenzen sich nicht speisen aus den Prinzipien der Gewinnmaximierung. Es müssen Menschen sein, die Kompetenzen haben im Bereich des Bewusstseins, deren Wirklichkeit davon geprägt ist, sich den eigenen Lebensraum als das zu gestalten, was eine andere Art von Denken, Fühlen und Antizipation voraussetzt. Kultur besteht nämlich nicht in ihrem fundamentalen Charakter aus dem Erwerb von Produkten, nicht aus dem Konsum, sondern aus der Rezeption von eigenen Werken, die es uns möglich machen, zu handeln, zu fühlen, zu lieben, zu schmecken oder zu ahnen was wirkliches Leben sein kann. Der Konsum ist im Kern eine Überbrückung von Einsamkeit. Denn die Einsamkeit umhüllt uns zwangsweise, wenn alles was uns umgibt einer Marktwerdung unterliegt. Der Gesundheitsmarkt, der Therapeutische Markt, der Kunstmarkt, der Wissensmarkt, dem Paradoxon vom Markt der Ideen.

Mit welchen Parametern soll man also antworten? Da könnte es ein altes, romantisches Ideal der Gegenöffentlichkeit sein. Es wäre so wichtig, daß der Leitartikel wieder seinen wahren Wert erkennt und so etwas wie eine außerparlamentarische Opposition formt. Wenn ein neuer Begriff von Individualität unausweichlich wird. Wenn Opposition wieder formulieren lernt, was seine humanistischen Ansprüche gegenüber dem Staat sind. Es kann sich speisen aus den alles überragenden Ideen des Grundgesetzes, aus dem Ausbrechen aus einer vom Markt kreierten Opferrolle im Sinne der Gewinnmaximierung, aus der Formulierung der eigenen, wirklichen Bedürfnisse der Gesellschaft.

Die Überführung von allen Denkformen in merkantile Gesichtspunkte führt offensichtlich nur in eine Richtung, der Entsolidarisierung zwischen den diversen Gruppen der Gesellschaft. Diese Entwicklung wird immer eklatanter sichtbar. Das jetzige kapitalistische System macht deutlich, wie dem Menschen auf massenmediale Weise die eigenen Interessen abgeknöpft werden, so daß man glauben könnte, die Rücktrittserklärung von Frau Merkel wäre irgendetwas, was auch nur im entferntestem Wallungswert besäße. Nein! Solche Dinge lenken ab, von dem was uns wirklich wichtig sein sollte. Wo wollen wir hin? Das, was uns als Politik angeboten wird über große Teile der Medien, dient der Entpolitisierung, der Entwicklung zum Stimmvieh. Im Gegenteil, wir müssen endlich formulieren was Demokratie für uns sein soll!

Denn dieses System steht auf Prinzipien der Ausbeutung zum Beispiel ärmerer Menschen, ärmerer Länder, und dies in seiner Begründung ein zu tiefstes Dekadenz-Phänomen ist und auf Unrechtsbestimmungen wurzelt. Wenn wir daran denken, wie wir Waffen exportieren und damit großes Leid, wie wir Menschen unter unwürdigsten Verhältnissen Dinge produzieren lassen, so daß wir unserem Konsumsystem frönen können, dann wird schnell klar, daß wir der inneren Bigotterie anheim gefallen sind. So kann ich nicht umhin, die Segnungen der gewinnmaximierenden Demokratie ihrer Ethik absprechen zu wollen. Wenn wir dieses System als immanent plausibles beschreiben, als eines, das in seiner Grundlage und seiner Logik konsistent sein soll, dann kann ich nur nochmal fragen, ob das wirklich unser Wille ist: Wo wollen wir hin?